Was ist passiert?
Frau C. verletzt sich im Jänner 2017 nachmittags bei einem Sturz auf einem schneebedeckten Gehsteig. Der Gehsteig verläuft im Ortsgebiet auf einem Grundstück der Firma K. entlang einem ihr gehörenden Gebäude. Beim Unfall ist der Gehsteig nahezu zur Gänze mit einer Schnee- und Eisschicht bedeckt. Gestreuter Split ist nur teilweise, hauptsächlich in den unteren Schichten vorhanden. Am Tag des Unfalls und in den Tagen davor hat es maximal -3 Grad Celsius, in der Nacht bis zu -12 Grad Celsius. Mit Nebel und Hochnebel und der Gefahr von Reifglätte ist zu rechnen.
Die Firma K. hat bereits im Jahr 1994 die „Dienstbarkeit des Gehsteiges“ der Stadtgemeinde eingeräumt. Im Vertrag ist festgehalten, dass „die Neugestaltung (Belags- und Pflasterarbeiten) sowie die bauliche Erhaltung des Dienstbarkeitsweges ebenso wie die Rückversetzung der bestehenden Mauer“ auf Kosten der Gemeinde wahrgenommen wird.
Vor dem Sturz von Frau C. führen Gemeindebedienstete seit Jahren - aus Sicht der Gemeinde zur Sauberhaltung der Innenstadt, nicht aber aufgrund übernommener Pflichten – den Winterdienst durch. Es wird immer Split gestreut.
Im Herbst 2017 teilt die Stadtgemeinde auf der Website und dem Gemeindeblatt mit, dass „die fallweise Gehsteigräumung durch den Winterdienst der Gemeinde nur zur Unterstützung der Anrainer erfolgt. Sie befreit die Grundstückseigentümer aber nicht von ihren Anrainerpflichten.“ Ebenso erfolgt ein Hinweis auf die Pflichten gemäß § 93 Straßenverkehrsordnung (StVO).
Die Firma K. selbst hat weder am Unfalltag noch in den Tagen davor gemäß § 93 StVO gestreut oder geräumt. Frau C. trägt beim Unfall Winterschuhe.
Frau C. möchte Schmerzensgeld und Schadenersatz von der Firma K.
Diese wendet ein, dass sie nicht als Wegehalterin haftet, da diese Pflichten der Schneeräumung – zumindest im Rahmen einer konkludenten Vereinbarung – auf die Stadtgemeinde mittels Dienstbarkeitsvertrages übertragen wurde.
Der Fall geht zum Obersten Gerichtshof.
So hat der OGH entschieden:
Der OGH hält die an ihn gerichtete Revision für zulässig, weil zur Frage, ob mit einer Vereinbarung einer Dienstbarkeit auch die nach § 93 StVO bestehende Verpflichtung des Liegenschaftseigentümers auf den Dienstbarkeitsberechtigten übergeht, keine Rechtsprechung vorliegt. Sie ist aber nicht berechtigt:
Er kommt zu dem Schluss, dass im konkreten Fall keine rechtsgeschäftliche Übertragung der Räumpflichten auf die Stadtgemeinde erfolgt ist – weder ausdrücklich noch stillschweigend durch schlüssiges Tun. Das kann nur in Ausnahmefällen angenommen werden, etwa dann, wenn ein vertretungsbefugtes Organ der Gemeinde ein entsprechendes Verhalten gesetzt hat. Das ist aber nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen.
Im Übrigen knüpft § 93 StVO nicht am Eigentum oder an der Verfügungsbefugnis am Gehsteig oder am Ein-Meter-Streifen an, sondern ausschließlich am Eigentum der angrenzenden Liegenschaft. Es wäre also auf jeden Fall die beklagte Firma K. zur Streuung und Räumung verpflichtet.
Ein Mitverschulden der Klägerin Frau C. ist hier nicht gegeben, sie hätte allenfalls auf die Straße ausweichen können, dies ist aber weder zumutbar noch ein vom Gesetz her vorgesehenes alternatives Verhalten.
Die Firma K. haftet daher alleine und ohne Mitverschulden der Klägerin für deren Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche.