Was ist passiert?
Frau L. fährt mit dem PKW aus einer Tiefgarage heraus. Sie hält vor dem quer zur Ausfahrt verlaufenden Gehsteig an, um den Verkehr zu beobachten, weil sie rechts abbiegen will.
In diesem Moment kommt Frau T. als Fußgängerin auf dem Gehsteig aus der Blickrichtung von Frau L. von rechts und bleibt vor der Ausfahrt stehen, weil sie den PKW von L. sieht.
Auch Frau L. sieht die Fußgängerin, wendet jedoch dann ihren Blick nach links und fährt los, als der Verkehr auf der Straße das Rechtseinbiegen zulässt. Dabei stößt der PKW die Fußgängerin T. nieder, die inzwischen wieder losgegangen ist.
Frau T. begehrt Schmerzengeld.
Erstgericht und Berufungsgericht entscheiden, dass die Lenkerin Frau L. unaufmerksam war. Andererseits ist auch durch das Stehenbleiben von Frau T. eine unklare Verkehrssituation entstanden. Jedenfalls hätte sich die Lenkerin vergewissern müssen, was passieren wird. Es wird ein Mitverschulden 50:50 ausgesprochen.
Die Fußgängerin Frau T. will sich damit nicht abfinden und wendet sich an den Obersten Gerichtshof.
So hat der OGH entschieden:
Das Höchstgericht verneint ein Mitverschulden der Fußgängerin.
Die Vorentscheidungen, auf die sich das Berufungsgericht bezogen hat und die ein Mitverschulden des Fußgängers begründen können, betreffen Unfälle, die sich auf Fahrbahnen ereignet haben.
Im konkreten Fall war die Fußgängerin aber auf dem Gehsteig unterwegs und hatte daher vor der Lenkerin Vorrang.
Der OGH führt weiters aus, dass nach dem Anhalten der Lenkerin (Frau M.) die Fußgängerin (Frau T.) unter Anwendung des Vertrauensgrundsatzes davon ausgehen darf, dass die Lenkerin sie passieren lässt und sie wieder losgehen kann.
Das Alleinverschulden trifft hier die unaufmerksame Lenkerin.